Kantillationen - Allgemeines u. Gemeinsames S.7


8. Vortragsweise

Noch so gute Übersetzung und Vertonung garantieren keine ansprechende Kantillation, wenn sie unzulänglich vorgetragen wird. Dazu einige Anmerkungen grundsätzlicher und praktischer Art.

a) Grundsätzliche Postulate zum Kantillationsvortrag

(1) Achtsamkeit vor unkritischen Pauschalurteilen über deutsche und lateinische Kantillation

Weil unbefriedigender deutscher Kantillationsvortrag leider kein Einzelfall ist, geschieht es leicht, daß die Unzufriedenheit von den einzelnen mangelhaft vorgetragenen Kantillationen unkritisch auf die gesamte deutsche Kantillation zurückfällt und diese generell in Mißkredit gerät.

Dieses unkritische Pauschalurteil über die deutsche Kantillation als solche wird für diejenigen, die die lateinische Kantillation (noch) kennen, scheinbar dadurch bestätigt, daß es im Lateinischen eine vergleichbare Unzufriedenheit nicht gegeben hat. Bis zur Einführung der deutschen Kantillation galt die lateinische unangefochten als würdige Weise gehobenen Textvortrags. Soweit auch im Lateinischen mangelhaft kantilliert wurde, störte das merklich weniger als im Deutschen, weil die "tote" lateinische Kultsprache den Mitfeiernden in Verständnis und Emotion viel ferner lag als die Muttersprache. Bei dieser ist die Sensibilität für unzureichenden Vortrag naturgemäß wesentlich größer.

Damit also bei enttäuschender deutscher Kantillation nicht (subjektiv) unkritisch und (objektiv) zu unrecht ein Pauschalurteil zugunsten der lateinischen Kantillation entsteht, muß mit Bedacht unterschieden werden zwischen der einzelnen mangelhaften deutschen Vortragsweise und der deutschen Kantillation als solcher.

(2) Balance zwischen Kantillationszweck und Vortragsweise
(= zwischen S p r e c h - Gesang und Sprech - G e s a n g)

Sinn und Zweck der liturgischen Kantillation ist nicht, den Zuhörern künstlerischen Gesang zu bieten und durch schöne Melodien zu gefallen, sondern Inhalt und Bedeutsamkeit von Texten durch die gehobene Vortragsweise des S p r e c h - Gesangs zu verdeutlichen, also vom Text her und auf den Text hin sinnvoll zu kantillieren.

Unbeschadet dessen ist die Vortragsweise der liturgischen Kantillation die eines "Sprech - G e s a n g s". Daher darf man sagen: Nur wer in der Lage ist, ein beliebiges einfaches Lied zugleich gefällig und doch schlicht vorzusingen, bringt die Voraussetzung mit, um liturgische Texte angemessen kantillieren zu können, vor allem, wenn die Kantillationsmodelle um gestufter Feierlichkeit willen reichhaltiger ausgeziert sind.

Andernfalls empfiehlt es sich, in einsichtiger Selbstbescheidung die Texte geziemend zu sprechen statt durch unzulänglichen Vortrag Sinn und Zweck der Kantillation zu vereiteln, indem Inhalt und Bedeutsamkeit der Texte weder in gehobener noch in erhebender Weise zum Ausdruck kommen.


Allgemeines und Gemeinsames zur Kantillation, Seite 7
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