Kantillationen - Allgemeines u. Gemeinsames S.9


9. Notenlinien

a) Bisher gebräuchliche Liniensysteme

(1) Um 1000 wurde für die Gregorianischen Gesänge das heute noch übliche 4-Liniensystem eingeführt. Maßgebend ist bekanntlich zweierlei:
-  Es gibt alternativ den C- und F-Schlüssel;
-  die Schlüssel geben keine absolute Tonhöhe der einzelnen Noten, sondern nur die relative Stellung der Halbtonschritte an.
(2) Die Weiterentwicklung der Musik führte zum 5-Liniensystem. Maßgebend ist nun bekanntlich:
-  Es gibt verschiedenste Schlüssel; am geläufigsten sind der G- oder Violinschlüssel und der F- oder Baßschlüssel;
-  die Schlüssel geben die absolute Tonhöhe der einzelnen Noten an.

b) Liniensysteme für die Kantillation

(1) Bei der Einführung der deutschen Kantillation im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) und seiner Liturgieerneuerung lag nahe, daß in den ersten offiziellen liturgischen VORAUSPUBLIKATIONEN FÜR DAS MESSBUCH das gregorianische 4-Liniensystem verwendet wurde.
(2) Dagegen wurden in dem offiziösen REGELBUCH FÜR DIE ORATIONS- UND LEKTIONSTÖNE IN DEUTSCHER SPRACHE ... hrsg. v. Liturgischen Institut in Trier (Freiburg: Christophorus 1969) die Notenbeispiele im 5-Liniensystem gebracht
-  mit dem üblichen Violinschlüssel,
-  aber mit ungebräuchlicher Positionierung der Vorzeichen (Kreuze).
Dieses System wurde schließlich für die Notenbeispiele in den Anhängen der offiziellen LEKTIONARE übernommen.
(3) Seit etwa 1970 findet sich in den offiziellen MEßBÜCHERN erstmalig (anscheinend ohne Begründung und Erklärung) das neue 2-Liniensystem.

Allgemeine Beschreibung:
-  Als Schlüssel steht ein g auf der unteren oder oberen Linie;
-  gegebenenfalls wird als Vorzeichen ein b verwendet;
-  Schlüssel und Vorzeichen insinuieren für die Noten eine absolute Tonhöhe, was aber für den solistischen Einzelsänger unverbindlich ist.

Voraussetzung: Das System funktioniert nur bei entsprechend geringem Tonumfang der Kantillation. Tatsächlich bewegen sich die alten und neuen Kantillationsmodelle gewöhnlich höchstens im Bereich einer Quarte. In Ausnahmefällen genügen eine oder allenfalls zwei Hilfslinien.

Vorteile: Die 2 Linien können im Gegensatz zu 4 oder 5 Linien ohne unnötigen Platzverlust zwischen den Textzeilen einen größeren Abstand bekommen und ermöglichen entsprechend größere Notenzeichen; das ist für die Liturgen am Altar oder am Ambo sehr hilfreich.

Kritik und Replik: In STUDIEN UND ENTWÜRFE (s. Literaturauswahl) bespricht Christof Emmanuel Hahn in dem Beitrag "Die Präfationen im Meßbuch. Text- und Melodiegestalt" (S. 155-170) S. 157 kritisch das Notenbild im jetzigen Meßbuch. Vieles ist bedenkenswert, kann aber übergangen werden, da es hier nur um das 2-Liniensystem geht. Dazu schreibt er: "es [das Notenbild] ist weder für das Lesen noch für das Singen hilfreich genug. Grund dafür ist nicht nur das ominöse Zwei-Liniensystem und der in dieser Gattung völlig ungebräuchliche G-Schlüssel."
Wenn Hahn ungeachtet der oben dargelegten unstreitigen Vorteile des 2-Liniensystems dieses dennoch "ominös" nennt, begründet er das mit dem "in dieser Gattung völlig ungebräuchlichen G-Schlüssel" und damit, daß es "zum Lesen und Singen nicht hilfreich genug" sei. Aber noch mehr Lernen und Üben, als sowieso zum Singen nach Noten nötig ist, wird durch das 2-Liniensystem und den G-Schlüssel m. E. kaum erfordert.

Option: So erscheint es sinnvoll und berechtigt, in dieser Website die derzeit offiziellen Liniensysteme zu verwenden: 5 Linien für die Lesungen, 2 Linien für Gebete, Präfationen, Segen u. ä.


Allgemeines und Gemeinsames zur Kantillation, Seite 9
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